Sonntag, 29. April 2012

Schlossgarten

…nach lauer Samstagnacht, inklusive draußen sitzen im T-Shirt bis kurz vor Mitternacht ist es heute am Sonntag Morgen eher trüb. Klar, warm ist es noch aber es fehlt einfach der klare, blaue, sonnige Himmel. Sonntag Morgen, leichte Insomnia, die Schlaflosigkeit macht sich durch frühes Aufwachen bemerkbar. Ich fahr Richtung Stuttgart. Die Ersten sind unterwegs, Brötchen für die Lieben holen, den Hund zum Kacken führen oder joggen beziehungsweise Nordic walken . Auf dem Schmidener Feld sind die Polen schon beim Spargel stechen.

Am Planetarium stell ich das Auto ab. Der Blick ist ungewohnt. Die Bauarbeiten für Stuttgart21 haben die Sicht von hier auf den Hauptbahnhof frei gemacht. Jetzt ist

das Gelände umzäunt, innen drehen 2 Sicherheitsleute ihre Runden. War es noch vor ein paar Jahren No Go Area, weil es einfach riskant war sich zu bestimmten Zeiten zwischen Ausgang Bahnhof und Planetarium zu bewegen, man wollte nun mal nicht überfallen werden. Dann war es für mich persönlich No Go Area, weil die Spinner diesen Teil des Parks besetzt hatten. Jetzt sind die Zelte weg – die Bäume auch. Teile des Südflügels des Bahnhofs sind auch schon weg. Zur Zeit wird nicht weiter abgerissen, ein Bagger war zu vorschnell, Teile des Dachs sind  auf benutzte Fläche runtergegangen.

Ich knipse den Bahnhof, aus dieser Perspektive sieht man hinter dem Bahnhof das große Gebäude der Landesbank Baden-Württemberg. Ob nicht doch ein Zusammenhang zwischen Kapital und Beton, zwischen finanziellem Gewinn und Bauvorhaben besteht ? Ich löse das Problem nicht, laufe auf den Bahnhof zu. Gestalten sind unterwegs. Sie brabbelt vor sich hin, laut brabbelt sie, ich verstehe es nicht, bemerke ihren schleppenden Gang. Am Zaun entlang. Auch hier geht der Kampf weiter, Sprüche gegen S21, gegen das Kapital, mal intelligent, mal primitiv. Die Security schaut mir nach.

Der ehemalige Busbahnhof. Nur einmal bin ich von hier mit einem Bus nach Frankreich zum Skifahren gefahren. Das ist schon 35 Jahre her. Ich stelle mir vor, wie viele Millionen Kilometer die Croatia Busse, der Maccedonia Express zurück gelegt haben, die hier gestartet sind. Es war doch immer was los, egal wann man vorbei gefahren ist. Jetzt stehen noch die Wartehäuschen, die Dächer, ich bewundere den sechziger Jahre Schick der Konstruktion. Klassisch. Zwei vermutlich Nichtsesshafte erzählen sich ihr Leben, haben noch Durst und Vorräte. Jeder ein Sixpack und ein Bündel mit seinen Habseligkeiten bei sich.

Auf der anderen Straßenseite hustet ein weiterer eingezäunter Sicherheitsmensch vor den Resten des Südflügels seine Lunge in die Trümmer. Seit wann sitzt er auf seinem Klappstuhl ? Er ist schon froh, dass es nicht regnet. Am Grundwassermanagement versucht die Glatze seiner langhaarigen Kollegin von der Security zu imponieren. Ist Glatze Aufnahmekriterium für so einen Job oder genügt ein niederer IQ und Muskeln ? Beide stecken in uniformähnlichen Bomberjacken. Es scheint leicht zu sein sie zu beeindrucken, macht sie doch auch nicht den hellsten Eindruck. Andererseits sind beide zu bedauern. Blöde blaue Rohre Sonntag morgens um  acht zu bewachen. Sicher gibt es besseres.

Beim Cafe Nil biege ich wieder in den Schlossgarten ein. Fast gar nix los hier. Ich seh’ am Teich Enten. Erkenne eine Asiatin die mir gleich zu Beginn meines Weges entgegen kam. Sie spricht mit dem Mann, der mich vorhin überholt hatte. Jetzt hat er das Bündel entrollt, das er unter dem Arm hatte. Zwei Plakate mit einer fernöstlichen Heilslehre liegen vor Ihm, der Asiatin und einer Parkbank im Gras. Zwischen den beiden gibt es Diskussionsbedarf, mich interessiert es nicht. Mir fallen die Überreste des Vorglühens, oder Nachbrennens des Vorabends auf. Wie gehabt, eine Flasche Wodka, ein Tetrapack Orangensaft und weiße Plastikbecher im Gras. Ich hasse es.

Eine öffentliche Toilette, mit festen Öffnungszeiten. Eine öffentliche Toilette mit Pissoir. An der Tür wird eine Reinigungskraft über die Wochenenden gesucht. 400 € Basis und Schmutzzulage. Dann doch lieber blaue Rohre bewachen.

Übermorgen ist erster Mai. Wir haben schon mehr als die Hälfte des Frühjahrs hinter uns. Das Gartenbauamt hat die Brunnen noch nicht einsatzbereit. Ob das dieses Jahr noch etwas wird ? Jogger kommen mir entgegen. Kaum Einzelläufer, viele Paare oder mehrere Personen. Er muss sich die Weisheiten seiner Frau / Freundin anhören, woher die den Atem hat ? Interessanterweise haben die wenigsten der Jogger diesen freudlosen Gesichtsausdruck. Die, die jetzt unterwegs sind machen es für sich und nicht für die Galerie.

Die Ruine der Freitreppe des ehemaligen Neuen Lusthauses ist auch eingezäunt. Hier will man jedoch nicht bauen oder Demonstranten fernhalten. Hier ist man um die Sicherheit der Passanten besorgt. Es sieht doch ganz schön einsturzgefährdet aus. Obenauf die Säulen sind mit Gurten gesichert, unten wuchert Grün aus den Mauerritzen. Liegen Steine und Mauerteile rum. Verfall. Die Tafel vor dem Ensemble erklärt das Wieso und Warum. Mir ist es zu viel Text. Ein mal rund rum, von allen Seiten fotografieren. Hinten in dem Gebüsch liegt jemand im Schlafsack.

Dazwischen gekommen ist am Vorabend Etwas. Vielleicht sogar dem Schläfer von gerade eben. Die Papiere und Dokumente liegen achtlos auf der Wiese. Ein Fahrschein, eine Broschüre “Hilfe für Straffällige” und ein Schreiben der Sozialberatung Stuttgart wegen der Unterkunftssituation nach Haft. Ich freu mich an meinem ereignislosen, eintönigen Leben. Mache mich auf den Rückweg.

Soll ich mich über den neben den Abfalleimern abgelegten Müll aufregen oder lieber darüber, dass man für so einen großen Park nur so wenige und kleine Behälter hat ? Überlege ob ich’s überhaupt fotografieren soll. Der amerikanische Schnellimbiss mag es gar nicht wenn sein Markenzeichen “the golden arches” verwendet, geknipst und vor allem in so einem Zusammenhang gezeigt wird. Andererseits wieso nicht ? So ist es nun mal. Ich verlasse den Park. Vom tollen Hotel auf der anderen Seite hat man nicht nur den Blick auf die Bundesstrasse, sondern auch auf diesen Schlossgarten. Bevor ich mich ins Auto setze geh ich noch zur “Gedenkstätte” für die gefallenen Parkbäume. Ich hab keinen Draht dazu. Grablichter auf abgesägten Baumstümpfen, “Mahnmal” in roter Farbe darauf geschrieben. Plastikblumen.

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