Samstag, 18. Juni 2011

zensus2011 praktischer Teil

Volkszählung, oder  zensus2011 ist. Als Wohneigentümer kam dann auch prompt ein Fragebogen ins Haus. Aufmerksam habe ich mir die Erklärung zum ausfüllen angesehen, zur Kenntnis genommen, dass ich laut Statistik bla bla bla Gesetz verpflichtet bin die Fragen zu beantworten und natürlich auf meine Kosten (eine Erstattung des Portos ist nicht vorgesehen) zurück zu schicken. Gut es geht auch online und wer meine Web Affinität kennt, weiß dass das mein Weg war. Kurz durchgeklickt und fertig. Angela und ihre Statistiker haben meine Wohnraumdaten und wissen jetzt, dass ich ein Bad und WC in der Wohnung habe, wieviel Hektar mein Wohnraum aufweist und dass wir zu dritt, falls die Terrortochter mal zu Hause ist dort wohnen. Dann kam aber noch eine Karte ins Haus. Ich oder wir wurden stichgeprobt, heißt, der Volkszähler persönlich hat sich bei mir und der Nachbarin angekündigt. (übrigens auf einer Karte, muss der Staat jetzt schon so sparen ?) ich war gespannt, ja freudig erregt.

Als es dann am nächsten Tag klingelt kann ich es schon kaum mehr erwarten, ich reiße die Tür auf und… genau und… der Hauch des Todes oder wenigstens der modrige Geruch sehr alter Menschen schlägt mir entgegen. Einen Rollator kann ich nirgends sehen, wird an den Treppen zum Eingang abgestellt sein. Zuerst will ich Jopi Hesters, der da vor der Wohnungstür wackelt ein “Mir kaufet nix” entgegen brüllen, bis mir einfällt, dass sich der Zensor äh der Interviewer angekündigt hatte.

Jopi: “Gries Gotttt, Herr Müller, i ben dr Herr Zähler, sehet se, hier isch mei Ausweis, i han mi oakindigt mit der kard” – gleich zu Anfang der Typ schon völlig in der Defensive, weisst sich aus, hat Schiss, so wie ein Hundehalter der durch die Stadt läuft, immer leicht das Gefühl gleich wieder angemacht zu werden wegen dem Kläffer. Das hätte sich Jopi aber vorher denken können, dass da nix ist mit einfach mal so das Sterbegeld aufbessern.

Leuti: “Ja, guten Tag, ich habe Sie schon erwartet, übrigens sind Sie in der Wohnung Leuti, mein Name ist Leuti und nicht Müller, Müller wohnt auf dem gleichen Stockwerk gegenüber. Kommen Sie doch rein”. – meine mir anerzogene Höflichkeit gegenüber Staatsvertretern spult ein standardisiertes Programm ab, ich kann nicht anders und bitte Jopi einen Platz an.

Jopi: “Ah, Danke, richtig Herr Müller, bei Leuti war ich ja gestern schon, ein wenig verwirrt die Dame aber sehr kooperativ” – kooperativ, ein Wort, das ich an diesem Tag noch mehrmals hören werde.

Leuti: “Sie waren vermutlich bei Müller, den hier sind Sie ja bei Leuti”

Jopi: “Äh, sind Sie sich sicher, dass Sie nicht Müller sind, weil bei Leuti war ich ja gestern”

Leuti: “Ja, da bin ich mir schon ziemlich sicher, dass Sie hier bei Leuti sind, Müller ist die Wohnung gegenüber, sehen Sie, hier an der Klingel stehts auch: Leuti”

Jopi: “Ah, ja richtig, die Frau Müller war ja leicht verwirrt, die war …”
Leuti: “Lieber Herr Zähler, wollen wir jetzt nicht einfach mal mit der Befragung anfangen ?” – ich kann Jopi unterbrechen, dass Frau Müller von gegenüber doch mehr als neben der Kapp ist, weiß ich jetzt schon seit mehr als 20 Jahren, in denen ich in dieser Hood in diesem Block hause.

Jopi: “Richtig Herr Müller, Sie sind sehr kooperativ, ich muss ja auch fertig werden, ich werde ihnen jetzt gleich erklären, wie das abläuft” – das einzige, was gleich abläuft ist die Lebenszeit von Jopi, sollte er nicht gleich anfange. Da ich ein Mensch bin, der nicht mit ausreichen Geduld ausgestattet ist, verkrampft sich bei mir schon alles.

Jopi stellt den Karton mit dem Aufdruck eines Laptops auf dem Boden ab, um ihn danach umgehend wieder aufzunehmen und auf unserem Esstisch abzulegen. Clever, die Befragung, das Interview gleich auf elektonischem Datenträger abzulegen, das spart bestimmt viel Zeit, unser Staat entwickelt sich doch noch zur Hightech-Nation. Umständlich öffnet Jopi den Karton, während ich schon mal versuche eine Steckdose in unmittelbarer Nähe frei zu bekommen.

Derweil hat Jopi den Karton geöffnet. Einen Stapel Lebensversicherungs Prospekte der Sparkassenversicherung werden fein säuberlich neben den Karton gelegt. Danach 2 zensus2011 Kugelschreiber, eine Art Adressliste, Barcode Aufkleber, ein Merkblatt zum ausfüllen der Fragebögen und natürlich, die zählt er dann ab, drei Fragebogen zum zensus2011. Ich greife mir einen der Fragebogen. “Langsam Herr Müller, den einen Bogen füllen wir gemeinsam aus, danach können sie die beiden anderen selber ausfüllen” : Jopi reißt die Führung an sich.

“So Herr Müller, zuerst ihr Vorname” – “Frank Leuti” – “Ach ja stimmt, Sie sind ja Leuti – also Herr Leuti, ihr Vorname” – jetzt ist es nicht so, dass es mir besonders schwer fallen würde, meinen Vornamen auszusprechen oder zu schreiben, nein meine Befürchtung ist, dass ich eher nochmal eine komplette Sonnenfinsternis über Deutschland erlebe als das Ende dieser Befragung.

Leuti: “Frank”
Jopi: "Frank" und trägt es in den Bogen ein. "Nachname ? äh ja Müll. äh nein Leuti”
Jopi: "Wie schreibt man das ?"
Leuti:"Ludwig Emil Ulrich  .    .   .Theodor Ida" mit im letzten “i da” abfallender Tonhöhe
Jopi:"Ludwig Emil Ulrich Theodor Ida" mit im letzten “i da” abfallender Tonhöhe wiederholt  er und schreibt LUDWIGEMILULRICHTH…. in seinen Bogen bis er nochmals unterbrochen wird
Leuti:"Leuti  !  Nur Leuti, der Nachname"
Jopi:"N u r L e u t i" noch weiss er nicht, dass er schon eine halbe Minute tot ist, der Tüph, meine Dalai Lama artige Geduld verlässt mich.

Leuti:”Leuti   L E U T I, geben Sie mir jetzt den verdammten Bogen, den füll ich selbst aus” und entreiße ihm das Ding.
Jopi:"Sehr kooperativ von ihnen, aber den ersten Bogen zeig ich ihnen" holt sich das verkackte Stück zurück. Er zeigt eine souverän Ruhe, die man sonst nur von Hörgeschädigten kennt.

Jopi: “das ist die Hohenzollernstraße ???? Die Hohenzollern ist da der Ort gemeint ?? Oder gibt’s den gar nicht ??? Oder die Hohenzollern ?” – WTF What the Fuck will der Alte von mir ?
“Ja weil ob man es zusammen oder getrennt schreibt” so Jopi.
Leuti:”wie jetzt hohen Zollern oder Hohenzollern ???”
Jopi:”Nein ! Nehhiin, die Straße”
Leuti: “Straße schreibt man doch immer zusammen, wie will man das trennen ?”
Jopi:"Ob man Hohenzollern Straße oder Hohenzollernstraße schreibt"

Morgen hab ich Frühschicht, das wird nix, Jopi ist erst beim dritten Feld des ersten Bogens. Ich überlege, wer noch vom Besuch des Alten bei mir weiß und ob er vermisst werden würde. Ein Blick auf seine ausgebreitete Liste bringt Jopi dann die Erkenntnis, dass er sich in der Hohenzollernstraße befindet, die Reihenfolge der Buchstaben kann er abschreiben, die Hausnummer übrigens auch.

Jopi: ”…und wir sind in Fellbach ? “ diese Frage war rhetorischer  Natur oder ? Er überträgt den Ortsnamen auf seinen Bogen.
Jopi: “Die Postleitzahl bitte !” das bitte kann den plötzlich eingekehrten Befehlston nicht abschwächen. Wieso das über die von ihm geführte Liste nicht auch ablesbar ist verschließt sich mir vollständig. Ich nenne ihm die Postleitzahl: “70736”

“Richtig”, Jopi ist ein Fuchs, das war eine Fangfrage.

Jopi: “Unter welcher Telefonnummer können wir sie für Rückfragen erreichen”, während  sich der Interviewer eisern im Fragenkatalog nach vorne arbeitet, bin ich froh, die Rufnummer der Telefon-Seelsorge Stuttgart auswendig zu wissen. Auch die werden die Rückfragen sicher kompetent beantworten.

Jopi:"Welches Geschlecht haben Sie ?” jetzt schon die 4. von ich weiß nicht wie vielen Fragen. “Sind Sie .....männlich ?" und mustert mich von oben bis unten. Ich werd ihm gleich zeigen, wie männlich ich bin und am ausgestreckten Arm über das Balkongeländer im 9. Stock halten. Jopi beantwortet sich nach einem kurzen Blick in meine doch leicht unentspannt wirkendes Gesicht die Frage selbst.

“Sie wurden doch sicher geboren, oder sind sie schon immer da ?” so ein kleiner Scherz lockert die Stimmung immer etwas auf, hat er sicher bei seiner Unterweisung gelernt. Die Aussicht, schon am Ende dieser Seite gelangt zu sein läßt mich schnell antworten: “Achtzehnter September Dreiundsechzig”
"Meinen Sie Achtzehnter   N E U N T E R   Neunzehnhundertdreiundsechzig ?"  kaum hatte er das so notiert blättert er um.

“Sehet Se, die Froga send gar net so schwär” – Schwer ist mein Groll gegen mich, diesen entlaufenen Seniorenheim Bewohner in die Wohnung gelassen zu haben.

“Bei der nächsten Frage können Sie Deutsch ankreuzen”, das muss einfach schneller gehen, es dämmert schon.
"Moment ich lese ihnen die Frage erst mal vor: Welche Staatangehörigkeit/en haben Sie ? "  Methusalem ist unerbittlich.

“Deutsch also, Sie sind sehr kooperativ”, weiß er. Natürlich ich muss fertig werden, die Bogen für die Mädels müssen auch noch ausgefüllt werden.

Würde ich mich anschließend zu einer Religionsgemeinschaft bekennen, könnte ich gleich 2 Felder vor rücken zum Familienstand. Da ich aber auch hier ganz Rebell der ich einmal bin “keine Religionsgemeinschaft” ankreuzen lasse. Weißt mich der Greis darauf hin, dass es mit Frage 8 weiter geht, die aber nicht beantwortet werden muss, er mir aber trotzdem vorlesen wird. Ich entscheide mich dann doch für eine Religionsgemeinschaft bei der Frage zuvor und bin schon bei 9 angelangt.

“Ihr Familienstand Herr Müller ?”
Zählt der Verlust des Kurzzeit Gedächtnisses zu den Alzheimer Symptomen ?
Jetzt mal ernsthaft, ist das so ?
Werden wir Alle mal so ?

Die Fragen, ob mein Partner/meine Partnerin am 9. Mai in der Wohnung leben, wie viele Personen in der Wohnung wohnen führen uns zur Frage ob das der Hauptwohnsitz ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich bei dieser Frage wieder die Möglichkeit abzukürzen und verzichte auf weitere Wohnsitze weltweit. Wir können uns auf den Fragenkatalog zur Zuwanderung konzentrieren, Blatt 3, ich habe mich aufgegeben, ich habe resigniert, ich ergebe mich.

“Sind Sie nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen”
ein “NEIN” lässt mich wieder 3 Felder vorrücken. “Ist Ihre Mutter nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen ?”, in dreier Schritten geht,s dem hoffentlich baldigen Ende des Bogens zu “Ist Ihr Vater nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen ?” – Jopi, Dein Stift glüht, jetzt haben wir die richtige Geschwindigkeit gefunden, sehr kooperativ,  der Zensist.

“Waren Sie in der Zeit vom 9. bis 15. Mai Schüler/-in in einer allgemeinbildenden Schule ? – Nein -  weiter mit Frage 26” langsam kann ich nicht mehr das Tempo des Alten halten, die Frage inklusive der Antwort nur gemurmelt und schon sind wir bei:

“Haben Sie einen allgemeinbildenden Schulabschluss”, mein Stolz zwingt mich die Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, auf Kosten weiterer Fragen natürlich.
”Haben Sie einen beruflichen Ausbildungs- oder (Fach-)Hochschulabschluss ?” Auch diese Antwort bringt mich nur zum nächsten Feld.

“Welchen höchsten beruflichen Ausbildungs- oder (Fach-)Hochschulabschluss haben Sie ?” jetzt will es der Methusalix aber wissen.

“Was trifft auf Sie zu ?“ ich lese mit, während der Greis spricht, komme mit meiner Antwort zuvor und darf wieder 3 Felder vorrücken.
“Haben Sie in der Woche vom 9. bis 15. Mai mindestens eine Stunde eine bezahlte Arbeit ausgeführt ? – henn se gschafft ?” ein Powerfeld, mit der richtigen Antwort komme ich diesmal 4 Felder weiter

“Sehet se, wenn se so kooperativ send, senn mr bald ferditg”  und gleich danach noch verwirrt zu fragen, “Wo gohts weiter, wo müsset mr na ? Wo isch jezdt d’37 ?” Mein Zeigefinger tippt auf das fünfte Blatt.

“Ja sehr, sehr kooperativ. – Als was sind Sie beschäftigt ?” auch hier kann er mit meiner Hilfe das Kreuzchen richtig setzen. Er setzt nach: “An welchem Ort sind Sie überwiegend tätig ?” und erklärend: “Arbeitsplatz lieg überwiegen in Deutschland…”  mit den möglichen Antworten: “…überwiegend in ihrer Wohnung ? oder …nicht überwiegend in ihrer Wohnung ?” und bevor ich aufs richtige Kästchen zeige noch “Wisset se, da muss mr genau lesa”

Nachdem ich ihm noch die Postleitzahl meines Arbeitsortes gegeben habe springen wir zu Frage 44.  Methusalem wirkt wie frisch reanimiert, man spürt förmlich den Einsatz des Defibrilators. Wie ein Nachrichtensprecher lies er die verschiedenen Kategorien der Berufe, Verantwortungen und genauen Berufsbezeichnung durch. Sieben mal buchstabiere ich ihm noch Speditionskaufmannsgehilfe  und freue mich dass wir meinen Bogen durch haben.

“Sehet Se isch eigentlich ganz eifach, ond so kooperativ wie sie sind….”

Umständlich klebt er noch einen Barcode auf den Fragebogen, auf seinen Erfassungsbogen und weiter geht’s. Ich darf alleine, Jopi weiß noch nicht, dass er ab heute nochmal Geburtstag feiern kann. Das y beim Vornamen meiner Frau falsch gesetzt und der Bestatter hätte schauen können wie er den Kadaver aus dem 9. Stock durchs Treppenhaus tragen kann.

Während ich kurz den Bogen meiner Frau ausfülle sinniert der Alte über seinen neuen Job, die Menschheit im Allgemeinen und über früher und überhaupt. Er ist abgelenkt, muss auch noch den Barcode wieder drauf machen. Den Bogen für meine Tochter kann ich in noch kürzerer Zeit ausfüllen. Umständlich packt er wieder ein. Die beiden Kugelschreiber nimmt er auch wieder mit. Ein schönen Tag noch und wären alle so kooperativ, seine Arbeit wär ein Zuckerschlecken…

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