Sonntag, 5. Juni 2011

Hermann der Lahme

Kurz(weiliges)wochenende in Oberschwaben
Bülent Ceylan, Komiker, Comedian in der Oberschwabenhalle in Ravensburg. Karten dafür gab’s vom Osterhasen für die Gattin und mich.  Ravensburg, doch 2 Autostunden vom heimatlichen Bett entfernt, dazwischen Bundes- und Landstrassen, die von mehr Kreuzen gesäumt sind, als der Friedhof von Kirchenkirnberg. Wir werden übernachten. Nachdem Booking.com und HRS nicht den schnellen Erfolg brachten griff die Chefin zum Telefonhörer und tat eine Pension in Altshausen auf. Halbe Strecke zwischen Bad Saulgau und Ravensburg.
Die Zieglerschen Anstalten, eine Reha Einrichtung in der Nähe von Pfullendorf wurden nach über 40 Jahren am Standort Höchsten aufgegeben. Im Augenblick steht die Anlage besenrein leer. Die Gattin wollt’ s nochmal sehen.
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Ein wenig wundert’s schon, dass solch eine eigentlich funktionsfähige Anlage zu Gunsten eines modernen Neubaus komplett aufgegeben wird. Vielleicht liegt’s am Träger.
Anschließend kurz die Pension aufgesucht, und ab nach Ravensburg. Oberschwabenhalle; Parkplätze noch und nöcher, kostenfrei. Der Schwabe in mir freut sich. Leichte Verwunderung macht sich breit, als wir eine riesige Menschenschlange sehen, die sich um die Halle windet. Die werden doch nicht alle anstehen ? Wir haben noch 1 1/2 Stunden bis zum Beginn, vielleicht ist die Halle noch nicht geöffnet, wir laufen erstmal noch durchs Industriegebiet.
Eine halbe Stunde später, die Halle hat geöffnet, die Schlange ist um ein vielfaches länger. Deutlich angepisst stellen wir uns an. Nicht nur Hochdeutsch, sondern auch Großveranstaltungen können wir nicht denke ich, während ich aber fasziniert bin wie eselsgeduldig tausende von Menschen diszipliniert anstehen. Halle ist ausverkauft, freie Sitzplatzwahl. Unsere Wahl fällt auf die letzte Stuhlreihe am rechten Rand. 2 Videowände zeigen Details. Tja, was soll man sagen ? Comedy eben, Klamauk ? Ich glaube, das muss einen eigenen Bericht ergeben, es war … es war … es geht nicht in der Kürze.
Um kurz vor elf waren wir zurück in unserem Gasthaus. “Schade Herrschaften, meine Frau die Köchin ist schon im Bett” ein deja vu Erlebnis blitzt auf. Horst Lichter Düsseldorf Hunger ? – “Ich könnt Ihnen aber noch ein Schinkenbrot machen” oder “Saitenwürstchen ?” Der nette Hilfswillige macht sich beliebt bei uns, noch was trinken und Saitenwürstchen am Tresen im Zentrum des Nirgendwo in Altshausen, Oberschwaben. “Herrschaften” und so begann er jeden Satz, “Herrschaften, ich möchte ja keine Werbung machen aber…”, “Herrschaften, wenn Sie morgen Zeit haben, 800 mtr. von hier, das Schloss Altshausen, da wohnt noch der Herzog von Württemberg”  Mit dem Dank für das späte Abendessen verabschieden wir uns für heute.
Am nächsten, sonnigen Morgen die Überlegung wohin ? St. Gallen, nochmal eine Stunde Richtung Schweiz, oder runter zum Bodensee, Friedrichshafen ? Nachhause ? Auf gut Glück irgendwo hin, nochmal Ravensburg ? Nach dem Frühstück ins Auto gesetzt und … 800 mtr. weiter am Schloss Altshausen geparkt.
2011-06-05 001Ein großer Platz, diese Stimmung sonniger Sonntag Morgen 9.30 Uhr noch ist kein Mensch unterwegs, der Glockenschlag für die halbe Stunde sonst Stille. Warm ist es schon, soll erst gegen Nachmittag wieder gewittrig werden. Einfach riesig der Platz, das in einem so kleinen Kaff. Zum rechten Tor geht’s zum örtlichen Polizeiposten, sagt wenigstens das Schild2011-06-05 003. Gerichtet sieht’s aus, der Stil der Bodenseeregion. Jetzt fällt’s mir ein, der Herzog bewohnt noch die Anlage, kein Kassenhäuschen, kein Busparkplatz, kein Kiosk für Kirchen Schneekugeln. Wir gehen durch das Haupttor. Die Siedle Klingelanlage, trotz oder wegen der Nutzung sind wir beeindruckt, wie die Decke bemalt ist.


Im Innenhof, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist, reichlich Rasen. Wir halten uns dann mal links. Durchs nächste verschlossene Tor sehen wir Gebäudeteile, bewohnt.
Diane, die Herzogin von Württemberg lebt ihre künstlerische Ader, erklärt auch auf der Tafel ihr Kunstwerk, die Geburt der Isis. Wir diskutieren es, lassen es noch ein bisschen auf uns wirken.
Weiter vorne die Kirche St.Michael mit Kapelle und dem heiligen Grab. In der sehr sehr modernen Kapelle ist jemand, er deutet uns an, durch die Kirche zu ihm zu kommen. So viel haben wir mit der Kirche, zumal mit der katholischen Kirche nicht am Hut. Aber Sonntagmorgen, 9.50 Uhr in Oberschwaben, was spricht dagegen ? Wir geben dem Herrn Bescheid, wir sehen uns erst mal die Kirche an. Dezent, wenn man sonst den oberschwäbischen Barock betrachtet,
Barock natürlich trotzdem, 2 Frauen richten die Kirche für den Gottesdienst her, es stimmt einfach nicht, dass die  in der katholischen Kirche nichts machen dürfen. Putzen, schmücken, organisieren klaro sind die eingebunden. Wir dürfen uns aber auch gerne den Altar und das Kirchenschiff anschauen, der Gottesdienst beginnt noch nicht gleich. Danke. Während der Gattin die weißen Rosen an den Kirchenbänken auffällt, interessiere ich mich auf der rechten Seite für einen altarartigen Platz, der Hermann dem Lahmen gewidmet ist.  Links auf dem Tisch noch die Kerzen aus dem Jugendgottesdienst, stolz mit den Namen der Beteiligten verziert. Wieso gibt es keinen Martin oder Peter mehr, wieso heißen die Jungs heute Kevin und Justin ? Liegt’s am Satteliten-TV ? Im rausgehen noch ein Blick auf die mächtige Orgel, die doch auch fast die ganze Breite des Raums einnimmt. Gigantisch.
Die ersten Kirchgänger finden sich ein. Wir begeben uns zur ultramodernen Kapelle, die direkt an die Kirche angebaut und mit dieser verbunden ist. In der Verbindung Schautafeln zu Hermann dem Lahmen, 1013 als 2. von insgesamt 15 Kindern geboren, seit seiner Geburt spastisch gelähmt, aber hoch intelligent. Und natürlich ermöglicht die adlige Herkunft, eine Förderung seiner Fähigkeiten durch seiner Mutter. Mit 6 Jahren kam er dann schon ins Kloster Reichenau. Er war ein Universalgelehrter, Mathematik, Physik, Astronomie und Musik ja ein bedeutender Wissenschaftler, ihm wir nachgesagt, dass er sozusagen der Erfinder der Minuten ist. Er soll eine Taschensonnenuhr erfunden haben, und beschäftigte sich mit der Entwicklung einer mechanischen Rechenmaschine.  Beeindruckend auch die Aussage, er verlasse sein Körpergefängnis, als er im Alter von 41 Jahren nach 10-tägigem Leiden starb. Hier wird er geehrt.
2002/2003 wurde die Kapelle erstellt. Um das aus der Mitte der 1700er stammende “heilige Grab” auszustellen. Interessant. Holztafeln in den Raum gestaffelt, plastisch bemalt, wie Theaterkulisse. Die Kreuzigung Jesu wird dargestellt. Ein paar Schritte nach hinten und die ganze Szenerie entwickelt eine immense Tiefe. Beeindruckend für was die Leute früher Zeit hatten, als es noch kein TV, Auto, Handy, Computer gab. Alleine wenn ihr den rot weiß gefliesten Boden betrachtet. Die Fliesen wurden nach hinten immer kleiner gemalt, natürlich um auch hier eine bessere perspektivische Wirkung zu erhalten. Grandios.
Die Orgel und der einsetzende Choral zeigt uns das der Gottesdienst beginnt. Draußen 15 abgestellte Fahrräder und 2 Rollatoren. Moderne Zeiten. Für mich als un oder garnicht oder gering gläubigen Menschen ist es beeindruckend, wie viel Energie die Gläubigen aufbringen. Noch im Blick zur Kirchentüre heraus  zwei Plastiken.
"Heilige Therese von Lisieux" Bronze, vor einem trivial Tisch, hier aber natürlich einem Altar aus Plexiglas, darin in der Tischplatte eingestreut vermutlich Messingspäne, die einen Glitzer erzeugen, die Tischbeine durch eingegossene Drähte verstärkt. Ultramodern, ein wenig wie bei “Schöner Wohnen”. Dafür die Therese, wirklich toll der weißlich eingefärbte Schal. Ausdruckstark. Die rechte Hand hält ein Kreuz, die linke Hand nach oben offen gerichtet; zu groß geraten, die Hände. Sonst genial.
“In Dankbarkeit für die Genesung ihrer Enkeltochter Flaminia”
Nicht weil es voyeuristisch wäre, mehr darüber zu erfahren, sondern schlicht, weil es mir nicht gelungen ist mehr darüber zu erfahren, muss ich mich mit diesem Satz begnügen. Kann mir aber vorstellen, wie groß die Sorge um die Enkelin und wie groß die Freude gewesen sein muss um so etwas Großes zu schaffen. Es ist auch das Thema von vorhin, mit der Energie eines Gläubigen.
Rechts neben Therese eine weitere Plastik, ein altertümlicher Wanderer, ein Pilger. Eine Googelei ergibt, dass es sich um einen Jakobs Pilger handelt. Henne – Ei ? Diane – Hape Kerkeling ? Was war zuerst ? Der Jakobsweg, der Popstar der Wallfahrer hat in meinem Empfinden Lourdes schon lange verdrängt. Egal, der Pilger fasziniert fast noch mehr als Therese. Der Poncho, der Umhang aus groben, derben Stoff in Bronzeguss, man will sich unwillkürlich kratzen, wenn man den Stoff betrachtet. Das leicht eingerissene Lederband der linken Sandale, die knochigen Zehen. Der Hals, darunter die Schlüsselbein Knochen fein modelliert. Die Bewegung natürlich, schockgefroren der Wadenmuskel angespannt. Den Blick zu deuten fällt schon schwerer, ist er nach oben an einen Schöpfer gerichtet, nur an einen fernen Horizont ?
P1130904P1130898Der Schlosspark verspricht noch mehr, enttäuscht uns aber dann doch, nachdem wir vor dem zweiten Teil der Anlage der Orangerie vor verschlossenen Toren stehen. Durch die Gitter sehen wir auch hier Skulpturen, dieser Teil ist aber privat. Schade. Dann halt weiter am Zaun entlang. Es muss doch möglich sein, diesen Teil des Parks zu besichtigen. Nachher vielleicht.
Auf dieser Seite sind noch ein paar Statuen aufgestellt. Große aus Lochblech und Stahl geschweißte Figuren, innen können sie beleuchtet werden, sieht Nachts bestimmt gut aus. Wir werden nicht “warm” mit den Figuren, nicht unser Stil. Die Herzogin hat sie nach Sternbildern, die in Beziehung zur Familie bestehen benannt und erklärt. Mir kommen Zweifel auf ob die Herzogin immer ein drogenfreies Leben geführt hat. Einzig die von der Sonne durchleuchteten Plastikschnüre der Engelflügel und Haare bringen einen tollen Effekt.
Mir lässt es keine Ruhe. Es muss doch einen Zugang zum oberen Teil des Schloßparks geben, ich will die anderen Skulpturen noch sehen, wir gehen außen um die Anlage herum. An der Mauer um die Orangerie fällt uns dann doch noch was auf:
Augenfällig, gleich am Schuppen, das obligatorische blaue 200 ltr. Plastikfass. Kein Platz für Entspannung, für einen Liegestuhl. Für Selbstversorger noch ein bisschen Gemüse, ein paar Bohnen. Sonst Blumen. Und vor dem Schuppen die Rosen sorgen für nette rote Farbtupfer.  Ein richtig nettes Schloßgärtle. Die herzogliche Familie wird es nicht beackern.
P1130913Christus, Jesus ich weiß nicht, auch hier scheint Diane eine Kleinigkeit an Bewusstsein erweiternden Dingen genascht zu haben. Der Bauchnabel des Gottessohn sieht doch sehr nach dem All Seeing Eye aus. Vielleicht übte sie da noch.P1130914







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