Sonntag, 26. Oktober 2025

Frühstück unter Waffen

Der letzte Sonntag im Oktober. Zeitumstellung: von Sommer- auf Normalzeit. Nicht Winterzeit – Normalzeit, sagen die Experten.

Am Nebentisch beklagt der Ältestenrat, die Enkel seien eine Stunde zu spät. Die Jüngeren heben das Smartphone: richtige Uhrzeit. Sie müssen sich nicht merken, was die Alten seit 40 Jahren nicht schaffen: die Uhr einmal zurückzustellen.

Kleines Landhotel im Odenwald – ein Treffen mit Bekannten. Müde Luft. Eine Stunde gewonnen. Vor mir dampft der Tee.

Man mag sich kaum vorstellen, wie viele Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hier im Frühjahr keine Uhr vorgestellt wurde. Wie viele Schalttage übergangen, wie viele Jahre einfach vergessen – und in welcher Zeit wir uns eigentlich befinden.

Gegenüber: ein Stillleben mittelalterlicher Waffen. Links eine Hellebarde, rechts ebenfalls; darüber ein Morgenstern, darunter ein grob gearbeiteter Kriegshammer. Zwei kleine Bilder zeigen je einen Ritter zu Pferde. Zwei Ritter, je auf einem Pferd? Und warum „zu“?

Die Waffen, fast schwarz. Originale? Oder bloß Nachbildungen – Symbole einer stehengebliebenen Epoche. Einer dunklen.

Warum dekorieren wir heute nicht auf diese Art? 

AR-15 – die Lieblingswaffe der School-Shooter. 
Kalaschnikow – Champion im globalen Body Count. 
Uzi – bekannt aus dem RAF-Logo. 
Glock – mit der höchsten Street Credibility im urbanen Waffenranking.

Funktion verkauft Ästhetik. Historie verkauft Gegenwart.

Die Wand dahinter: unschuldig weiß.

Auch das Frühstücksei: weiß. Ich möchte es köpfen – mir fehlt ein Beil. Dem Arrangement auch. Sauberes Köpfen war offenbar nicht vorgesehen. Kein Beil, kein Schwert. Nur Schlagwaffen: Kriegshammer, Morgenstern – maximal hilfreich, um Gegnern den Schädel einzuschlagen. Oder – mit etwas Mut zur Selbstverletzung – um aus einem Ei ein Rührei zu machen.

Mörderische Kopfschmerzen hat die Dame am Nebentisch – das Wetter? Wein? Migräne? Ein Aspirin soll helfen. Früher hatte man auch Schädel wie ein Amboss – vom Morgenstern oder Kriegshammer. Früher half Ruhe. Endgültig.

Frühstücksbuffet: Brötchen, Brot, Cerealien, Butter, Obst, Lachs, Wurst und Käse. Marmelade und Honig. Warm gegessen – mit Kriegswaffen an der Wand und der gewonnenen Stunde. Ach, und Haferflocken.

Irgendein früherer Besitzer dieser Waffen hatte wohl halbwarmen Hafergrieß im Bauch. Er nutzte das Tageslicht zum Kämpfen oder Verteidigen. Zum Totschlagen oder Totgeschlagenwerden. Kein Herzog, kein Ritter – sonst Rüstung, Lanze, scharfes Schwert. Ein Bauer. Ein Handwerker. Töten als Handwerk. Heute für den, morgen für einen anderen.

Frühes Mittelalter – weil man früh oder maximal mittelalt gearscht war.

Der Gast am Nebentisch - seit Corona riecht er nicht mehr – weder seine Umgebung noch sich selbst.
Das hindert ihn nicht daran, seine Herrendüfte immer reichlicher zu verwenden. Besser als der Gestank von Angst, Leder und Tod. 

Keine Distanzwaffen. Ran an den Gegner. Armlänge. Nicht nur das Weiße im Auge sehen, auch die Angst. Oder nur sich selbst. Gedärme rausreißen. Schädel einschlagen. Knochen brechen. Hellebarde. Morgenstern. Kriegshammer. Die Chance, lebend davonzukommen: gering.

Ein anderer Gast moniert Klopfgeräusche aus dem Bad. Die Heizung vermutlich. Er konnte kein Auge zutun. Kriegshammer und Morgenstern verursachen auch Klopfgeräusche – für den, der sie schwingt, länger als für den, der sie empfängt. Er hört nur den ersten Schlag. Und macht die Augen nie wieder auf.

Wie oft wurde so eine Waffe weitergereicht – vom Geschlagenen an den Schläger, vom Besiegten an den Sieger?

Vielleicht hängt man das Kreuz deshalb nicht daneben. Es würde zu gut passen. Nur, dass man daran glauben sollte, nicht daran glauben zu müssen.

Ich bin Atheist. Nicht, weil ich nicht glauben kann – sondern weil ich nicht dran glauben will.

Liebe und Frieden wären eine Option.
Der letzte, der so gedacht hat – hängt am Kreuz.
Wir hängen nur Waffen an die Wand. Und frühstücken darunter.

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