Montag, 18. Dezember 2023

Kugelschreiber

Seit ich ihn kannte, trug mein Vater stets mindestens einen Kugelschreiber bei sich. Da er fast ausschließlich Hemden trug, befand sich in der linken Hemdtasche immer ein Kugelschreiber. Egal, wo er sich aufhielt, sobald es etwas zu schreiben oder zu unterschreiben gab, zückte er seinen Kuli.

Das letzte Mal, als ich ihn sah, lag er im Wohnzimmer auf dem Sofa. Er war krank und trug seinen Schlafanzug und eine Wollweste. Ich half ihm, sich in eine sitzende Position zu begeben. Obwohl er dement und geschwächt war, suchte er auf dem Couchtisch nach seinen Sachen. Das Telefon wurde kurz zurechtgerückt, die Zeitung ebenfalls, und dann war da noch der Kugelschreiber. Er versuchte, den Kuli in seine nicht vorhandene Brusttasche zu stecken. Ich erklärte ihm, dass er keine Brusttasche habe, und schlug vor, den Kuli liegen zu lassen. Ich würde ihn zum Esstisch bringen. Er ließ es jedoch nicht zu, fast nach dem Motto "nicht ohne meinen Kuli", versuchte er immer wieder, den Stift einzustecken. Ich half ihm auf die Beine, und er tippelte die paar Schritte zum Esstisch, den Kugelschreiber fest in der Hand. Gemeinsam tranken wir Kaffee. Unbeirrt versuchte er es immer wieder. Fast wie eine Katze, der man ein Spielzeug an den Schwanz gebunden hat, versuchte er unentwegt das Unmögliche.

Drei Tage später ist er friedlich eingeschlafen. Wir haben ihn mit einem Kugelschreiber im Hemd beerdigt.


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