Freitag, 26. Dezember 2025

Goddess

Fundstück / Weihnachtskarte 2024 (Archiv)

Hallo Frau S.,
oder Frau Wacken, wie Sie von uns genannt wurden.
Sie haben mir vor 2,5 Jahren in den zwei, drei Gesprächen als Krankengymnastin mehr geholfen als die ganze Reha.
Dafür bin ich noch immer dankbar.
Beste Wünsche – nicht nur zu Weihnachten.


So schrieb ich es auf die Weihnachtskarte. 2024.
Jetzt liegt sie mir wieder in der Hand.
Ablage. Archiv.
Eigentlich schon erledigt.

Aber beim Lesen ist sie sofort wieder da.
Frau Wacken.

So haben wir sie genannt.
Nicht offiziell natürlich.
Der Name kam von den Shirts.
Festival-Shirts.
Heavy Metal.
Schwarz, Weiß.
Sie hatte fast immer eines an.
Wacken Open Air.
Ich habe das sofort erkannt.
Meine Mitpatienten natürlich nicht.
Daher: Frau Wacken.

Und dann bin ich wieder dort.
Schwarzwald.
Reha.
Psychosomatik.
2022.


Ich komme rein.
Krankengymnastik.
Physio kenne ich von früher.
Leicht genervt, weil ich nicht turnen will.
Aber die Schulter macht echte Probleme.

Ich sage das mit der Schulter,
will mich schon auf die Bank schmeißen.

„Ziehen Sie sich aus“, sagt sie.
Ohne Zweifel.
Und sie meint: ganz.
Bis auf die Unterhose.

„Stellen Sie sich hin.“

Sie schaut mich an.
Es kommt mir lang vor.

„Drehen Sie sich um.“

Gleiche Prozedur von hinten.

„Gehen Sie mal vor.“
Ich gehe die sechs Schritte bis zur Wand.
„Zurück.“
Wieder sechs Schritte.

Rumpfbeugen.
Wie weit komme ich mit den Händen zum Boden.
Strecken.
Wie weit nach hinten.

„Nicht übertreiben. Sie sind ja wegen der Schulter da.“

Dann sagt sie Dinge,
die mir selbst nie aufgefallen sind.

Sie sind nervös.
Unruhig.
Sie kommen leicht ins Stottern.
Sie stehen schief.
Sie mahlen mit den Zähnen.
Sie sind völlig verspannt.
Rechts ist Ihre aktive Seite.
Sie hängen leicht zur Seite.

„Machen Sie Sport?“

Nein.
Um Gottes willen.
Ich mache seit Jahrzehnten keinen Sport
und bin stolz darauf.
Ich weiß nicht, wie ich sie beeindrucken kann.

„Sollten Sie aber.
Kein Leistungssport.
Einfach bewegen.
Zu Hause, im Verein.
Gymnastik.

Das hilft Ihrem Skelett,
Ihrer Schulter
– und Ihrer Psyche.“

Auch da.
Bei der Psyche.
Sagt sie einfach so.

„Einmal ist es doof,
sich da anzumelden.
Beim zweiten Mal kennt man schon Leute.
Man kommt auf andere Gedanken.
Hat Sozialkontakte.“

Woher sie wusste,
dass genau das mein Problem ist,
wurde mir nicht klar.


Später habe ich Stress.
Mit meiner Bezugstherapeutin.
Mit dem Klinikchef.

Sie holt mich wieder runter.
Und erklärt mir,
wie es läuft.

„Ein Psychotherapeut wird Ihnen nie sagen,
was Sie jetzt machen müssen.
Der spiegelt so lange,
bis Sie selbst drauf kommen.

Der nimmt Ihnen die Verantwortung nicht ab.
Er zeigt Optionen.“

So habe ich das verstanden.
Und ich glaube bis heute:
So war es gemeint.

Sie deutet an,
dass sie sich früher selbst mehr
mit dem psychischen Teil beschäftigt hat.
Stress.
Überforderung.
Vielleicht auch Probleme
mit der einen oder anderen Substanz.
Ich weiß es nicht genau.

Aber irgendetwas davon
hat sie zur Physiotherapeutin gemacht.

Sie war die Einzige dort,
der ich Kompetenz zusprach.

In der Maltherapie,
an meinem Notebook,
habe ich ihr ein T-Shirt gemacht.
Schwarz-weiß.
Heavy Metal.
Wilder Schriftzug.

Goddess of Physical Therapy.

Goddess. Göttin.

Nicht im religiösen Sinn. Keine Heilige. Keine Erlöserin.

Eher die Göttin der Physiotherapie.
Weil sie gesehen hat, was da stand.
Und gesagt hat, was Sache ist.

Ich habe es ihr
in die Anstalt schicken lassen.

Eine Reaktion habe ich nie bekommen.

Therapeuten –
psycho wie physio –
sollen kein zu vertrauliches
oder gar freundschaftliches
Verhältnis aufbauen.

Das wusste ich.

Und trotzdem
fand ich es schade.

Schade,
dass sie meine Idee
erkennen –
aber nicht würdigen durfte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen